Muth, M. (16.3.2024): „Paw Patrol“ im Hochstuhl. In: Süddeutsche Zeitung, S. 48. Online unter anderem Titel am 14.3.2024: https://www.sueddeutsche.de/leben/herdecke-witten-langzeitstudie-elina-penner-kinderhirn-bildschirmzeit-awmf-1.6451066?reduced=true
Ein Bild gruselt den Kinder- und Jugendarzt und sagt mehr als 100 Worte: In einem Hochstuhl sitzt ein einsam essendes Kindergartenkind und schaut nebenher einen Film, vielleicht „Paw Patrol“. Im halbseitigen Artikel dazu beklagt der Wirtschaftsinformatikredakteur Max Muth eine Leitlinie der medizinischen Fachgesellschaften, die für ein gesundes, entwicklungsförderliches Aufwachsen unter anderem Bildschirmfreiheit bis zum dritten Lebensjahr empfiehlt: Dies sei im Jahr 2024 sonderbar aus der Zeit gefallen, im internationalen Vergleich zu streng und durch die hierzu bestehende Wissenschaft nicht gedeckt. Es führe zu „Victim blaming“ der Eltern insbesondere in schlechter gestellten sozialen Schichten, die die hierdurch ausgerufene Abwehrschlacht nur verlieren können. Denn sie seien bei doppelter Berufstätigkeit darauf angewiesen, Ihren Nachwuchs vor Fernseher oder Handy zu parken.
Die Wissenschaft hinter der Intention dieser Leitlinie ist gesamthaft erdrückend und deckt sich mit der gefühlten Praxisstatistik: Je bildschirmferner kleine Kinder aufwachsen, desto weniger Stress verbreiten sie im Sprechzimmer, desto besser können sie sich selber mit einfachstem Spielzeug phantasievoll und eigenaktiv beschäftigen und desto relaxter sind langfristig auch ihre Eltern. Es kommt immer wieder vor, dass zuvor unwissende Eltern mit verhaltensgestörten Kleinkindern deutliche Besserungen erleben, nach dem ihnen eine Mediendiät gelang. Und ja, medienfern aufgewachsene Kinder sind durchschnittlich besser entwickelt, bis sie in die Schule kommen. Für das ältere Fernsehen gibt es Studien, die zeigen, dass sich das noch 40 Jahre später bis hin zum eigenen Einkommen positiv auswirkt.
Insofern stimmen die meisten Kinder- und Jugendärzt:innen dem Leitlinienkoordinator Prof. David Martin zu, dass Bildschirmmedien sogar in Kindergärten nichts verloren haben. Denn auch dort gibt es wichtigeres zu lernen, als irgendeine Pseudomedienkompetenz: Wirkliche Lebenskompetenz, die man noch früh genug auch auf Medien anwenden muss, aber mit Medien nicht lernt.
Dr. Till Reckert
Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin in Reutlingen
Till Reckert im Berufsverband der Kinder- und Jugendärzt:innen e.V. bvkj:
Land: Stellvertretender Landesverbandsvorsitzender Baden-Württembergs und Landespressesprecher
Bund: Beauftragter für Fragen des Mediengebrauchs durch Kinder- und Jugendliche (kooptiert in den Ausschuss für Prävention)